Wenn das Geld der Eltern nicht für die Pflege reicht

Interview zum Angehörigen-Entlastungsgesetz

Reicht das Geld der pflegebedürftigen Eltern für die Kosten der Pflege nicht, kommt eine Finanzierung von Hilfen durch den Sozialhilfeträger in Frage. Bisher war es so, dass das Sozialamt dann von den Kindern „Elternunterhalt“ verlangte. Anfang 2020 hat sich die Rechtslage jedoch geändert. Viele erwachsene Kinder müssen jetzt nicht mehr für bedürftige Eltern zahlen. Fragen zu den Neuregelungen beantwortet Herr Klaus Marschall, Koordinator für Behinderten- und Seniorenbelange beim Kreis Minden-Lübbecke.

Herr Marschall, seit 01. Januar 2020 gilt das Angehörigen-Entlastungsgesetz, das viele Kinder von ihrer Unterhaltspflicht befreit. Was verändert sich dadurch?

K.M.: Mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz wird ein Signal gesetzt, dass die Gesellschaft die Belastungen von unterhaltsverpflichteten Angehörigen besser als bisher anerkennt. Das sind zum einen Kinder, deren Eltern pflegebedürftig werden und Unterstützung brauchen. Wenn die Leistungen der Pflegeversicherung nicht ausreichen und auch Rente und Vermögen der Eltern die Kosten nicht decken, können notwendige Hilfen aus der Sozialhilfe finanziert werden, egal ob es sich um ambulante Hilfen oder stationäre Pflege handelt. Bisher mussten unterhaltspflichtige Kinder dann oft teilweise oder ganz für diese Kosten aufkommen, es sei denn, sie haben die Pflege selber zu Hause übernommen. Hier gibt es jetzt Veränderungen.

Darüber hinaus gilt das Angehörigen-Entlastungsgesetz auch für unterhaltspflichtige Eltern volljähriger Kinder mit Behinderungen, die Hilfe zur Pflege oder Eingliederungshilfeleistungen erhalten.

Das wird für die Kinder, die ihre pflegebedürftigen Eltern häufig schon über Jahre unterstützen, eine wichtige Information sein. Wer muss jetzt noch zahlen?

K.M.: Seit Anfang 2020 müssen Kinder für ihre pflegebedürftigen Eltern nur noch dann Unterhalt zahlen, wenn sie ein Jahreseinkommen von mehr als 100.000 Euro haben. Hierbei zählen der Bruttoverdienst und z.B. Einkünfte aus Vermietung und Kapitalerträgen. Kinder mit einem geringeren Gesamteinkommen sind von ihrer Unterhaltspflicht befreit. Die notwendigen Kosten werden dann vom Sozialhilfeträger übernommen. Dies gilt sowohl für die ambulante Versorgung als auch für die Heimbetreuung.

Und wenn das Kind nun weniger verdient, aber mit einem Gutverdiener verheiratet ist: Zählt das Partnereinkommen mit?

K.M.: Nein, es zählt nur das Einkommen des Kindes. Schwiegerkinder sind mit ihren Schwiegereltern nicht verwandt und damit auch nicht zu Unterhaltsleistungen verpflichtet. Auch Enkelkinder müssen im Rahmen der Sozialhilfe nicht finanziell für die hilfebedürftige Person einstehen.

Nehmen wir mal an, ein Kind verdient zwar unter 100.000 Euro, hat aber ein erhebliches Vermögen geerbt. Zählt das Vermögen bei der Unterhaltspflicht?

K.M.: Das Vermögen selbst zählt bei der Unterhaltspflicht nicht mit, wohl aber Einnahmen aus Kapitalerträgen oder Mieten. 

Wie wird denn der Unterhalt errechnet, wenn fest steht, dass ein Kind zur Zahlung verpflichtet ist?

K.M.: Der Unterhaltsanspruch der Eltern gegen die Kinder wird vom Sozialamt nicht grundsätzlich geprüft, sondern nur bei Vermutung der Unterhaltsfähigkeit, wenn z.B. aus dem Beruf des Kindes geschlossen werden kann, dass es über 100.000 Euro verdient. Bewahrheitet sich dies, macht das Sozialamt den Unterhaltsanspruch geltend. Die Höhe des zu leistenden Unterhalts wird nach zivilrechtlichen Vorschriften berechnet. Der Selbstbehalt eines alleinstehenden Kindes berechnet sich nach dem Mindestselbstbehalt der sogenannten „Düsseldorfer Tabelle“ in Höhe von 2000 Euro monatlich zuzüglich der Hälfte des darüber hinausgehenden Nettoeinkommens.

Gilt das Angehörigen-Entlastungsgesetz auch für Ehegatten untereinander?

K.M.: Die neuen Regelungen des Angehörigen-Entlastungsgesetzes gelten für Ehegatten nicht. Wenn der pflegebedürftige Ehegatte ins Pflegeheim kommt, während der andere zu Hause wohnen bleibt, muss sich der zu Hause verbleibende Ehepartner an den Heimkosten nach den Bestimmungen des Sozialhilferechts beteiligen.

Ist jetzt mit vermehrten Heimaufnahmen pflegebedürftiger Menschen zu rechnen?

K.M.: Dem Vorrang ambulanter Pflege vor stationärer Pflege wird durch das neue Gesetz nicht widersprochen. Das Angehörigen-Entlastungsgesetz kann in vielen Fällen dazu führen, dass überlastete, verantwortungsbewusste Angehörige die Pflege an ein Pflegeheim abgeben, ohne finanzielle Folgen für die gesamte Familie fürchten zu müssen. Und den pflegebedürftigen Menschen selbst wird die Sorge genommen, dass ihre Kinder vom Sozialamt herangezogen werden könnten, wenn sie in einem Pflegeheim betreut werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Ursel Schellenberg von den Zentren für Pflegeberatung im Kreis Minden-Lübbecke.

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